Inkontinenz. Ein Thema, das noch immer schambehaftet ist. Obwohl die Erkrankung mit ihren vielfältigen Ausprägungen und Ursachen ernsthafte gesundheitliche und psychosoziale Folgen haben kann. Betroffen sind dabei nicht nur ältere Menschen, sondern auch Kinder und Jugendliche. Im Interview spricht Hamza Aljabali, Chefarzt der Klinik für Urologie und Kinderurologie am AMEOS Klinikum Aschersleben, anlässlich der Welt-Kontinenz-Woche (vom 17.-23. Juni) über Verbreitung und Ursachen des kindlichen Bettnässens und berichtet über die Therapieansätze.
Frage: Warum müssen wir zu Beginn unseres Lebens überhaupt erst „trocken“ werden?
Aljabali: Das Harnlassen ist im Idealfall ein kontrollierter Prozess, der sich im Zusammenspiel von Blase, Rückenmark und Gehirn abspielt. In jungen Jahren kommunizieren aber zunächst nur Blase und Rückenmark: Ist die Blase voll, wird sie automatisch entleert. Die Fähigkeit, das Harnlassen zu kontrollieren, muss sich erst entwickeln.
Frage: Ab wann sollten Kinder trocken sein, und wann sollte man ärztlichen Rat einholen?
Aljabali: Das ist von Kind zu Kind unterschiedlich. Grundsätzlich sollten Kinder ab 12 bis 18 Monaten mit dem Toilettentraining beginnen und lernen, ihren Harndrang tagsüber zu kontrollieren. Die meisten Kinder sind im Alter zwischen 2 und 3 Jahren tagsüber „trocken“. Die nächtliche Kontrolle der Blasenentleerung dauert meist etwas länger. Bis zum fünften Lebensjahr ist nächtliches Einnässen physiologisch, also normal. Wenn Kinder danach weiterhin regelmäßig einnässen – man sagt: über einen Zeitraum von drei Monate hinweg mehr zweimal oder mehr pro Woche – sollte ein Kinderarzt oder Urologe konsultiert werden. Es ist dabei auch wichtig, ob das Einnässen nur nachts oder auch am Tage auftritt. Nässt das Kind nur nachts ein, sprechen wir von einer Enuresis. Anderenfalls handelt es sich um eine funktionelle Harninkontinenz. Das sind unterschiedliche Krankheitsbilder.
Frage: Wie weit ist das „Bettnässen“ denn tatsächlich verbreitet?
Aljabali: Man spricht davon, dass ca. 15 Prozent der 5- und 6-Jährigen nachts einnässen. Kinder und Eltern stehen also, auch wenn sie das manchmal so empfinden, nicht allein da. Allerdings gibt es auch Jugendliche, und da spreche ich auch aus eigener Erfahrung, die mit 12 oder gar 15 Jahren das erste Mal mit dieser Problematik vorstellig werden. Und natürlich ist es dann viel zu spät.
Frage: Was sind die Ursachen für die Enuresis?
Aljabali: Oft ist das Problem, dass die Kinder sehr tief schlafen und nicht wach werden und aufstehen, wenn die Blase voll ist. Ein Mangel des antidiuretischen Hormons (kurz: ADH), das dafür sorgt, dass die Nieren nachts weniger Urin produzieren, kann ebenfalls dahinterstecken. Infektionen, Übergewicht, ein unbehandelter Diabetes mellitus, unerkannte neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Wirbelsäulenerkrankungen können Ebenfalls die Ursache sein. Manche Kinder kommen mit auch mit einer kleinkapazitären, einer zu kleinen Blase zur Welt. Eine gründliche Diagnostik beim Kinderarzt oder (Kinder-)Urologen mit körperlicher Untersuchung, Ultraschall, Urinuntersuchung und Harnflussmessung ist deshalb sehr wichtig. Ein Miktionsprotokoll, ein „Pipi-Tagebuch“, das die Eltern über mehrere Tage für ihr Kind führen ist für den Arzt außerdem eine wertvolle Informationsquelle, um Ausscheidungsmuster und Zusammenhänge zu erkennen.
Frage: Wie lässt sich das Bettnässen behandeln?
Aljabali: Ein wichtiger Baustein in der Therapie der nächtlichen Enuresis ist das Verhaltenstraining: Dazu gehört zum einen, das Kind vor dem Zubettgehen zur Toilette zu schicken, auch zweimal hintereinander. Eine weitere Maßnahme: Das Kind auch nachts ein- oder zweimal wecken und auf die Toilette schicken. Das mag hart klingen und mühsam erscheinen, liefert Studien und auch meiner Erfahrung nach aber die besten Ergebnisse. Wichtig ist, dass die Kinder richtig wach werden und dieses „Training“ über mehrere Wochen, manchmal Monate hinweg beibehalten wird. Es gibt auch Klingelhose und -matten, die beim Kontakt mit kleinsten Urinmengen Alarm schlagen und das Kind wecken. Die Eltern sollten zudem darauf achten, dass das Wasserlassen ganz entspannt stattfindet, ohne Zeitdruck und in der richtigen Sitzhaltung, mit den Knien im rechten Winkel und den Füßen auf dem Boden oder einem Hocker. Zwei Stunden vor dem Schlafengehen sollte keine Flüssigkeit mehr aufgenommen werden, zucker- und koffeinhaltige Getränke sollten grundsätzlich gemieden werden. Bei 50 bis 60 Prozent der betroffenen Kinder lassen sich allein durch diese Maßnahmen deutliche Fortschritte erzielen.
Frage: Welche weiteren Therapieschritte gibt es, wenn das Verhaltenstraining nicht hilft?
Aljabali: Wenn Verhaltenstherapie nicht den gewünschten Erfolg bringt, kommen Biofeedback-Verfahren zum Training des Beckenbodens und der Stimulation der Nervenbahnen rund um die Blase ins Spiel. Darüber hinaus gibt es Medikamente, die das körpereigene ADH imitieren. Diese sollten jedoch nur unterstützend eingesetzt werden und sind nicht zur Dauerbehandlung gedacht. Ein langsames Ausschleichen ist wichtig, da Kinder oft nach dem Absetzen erneut einnässen.
Frage: Was ist Ihr wichtigster Rat für Eltern?
Aljabali: Es gibt kein „Wundermittel“ gegen Enuresis. Viel Konsequenz und Geduld seitens der Eltern sind notwendig, damit die Behandlung erfolgreich sein. Eltern sollten zudem frühzeitig einen Arzt einbeziehen. Denn je später Diagnose erfolgt, desto schwieriger gestaltet sich die Behandlung.
Die Klinik für Urologie und Kinderurologie am AMEOS Klinikum Aschersleben blickt auf eine mehr als 60-jährige Tradition zurück und hat sich seit dieser Zeit zu einer Klinik der urologischen Maximalversorgung entwickelt. Besondere Schwerpunkte sind die Uro-Onkologie und Tumorchirurgie, die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Nierensteinen sowie die Behandlung der Harninkontinenz bei Frauen, Männern und Kindern.
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