Wunschvorstellungen oder eigene unerfüllte Träume der Eltern prägen häufig den Lebensweg der Kinder – beruflich wie emotional. Dies kann sich in scheinbar natürlicher Vorbestimmung zeigen, in der der Sohn den Familienbetrieb übernimmt oder die Tochter wie selbstverständlich die Linie ihrer Vorfahren als Schauspielerin in fünfter Generation fortsetzt. Neben den Talenten scheint oft auch das Skript ihres Lebens mit in die Wiege gelegt worden zu sein. Im Idealfall erfahren sie liebevolle Unterstützung durch ein förderndes Umfeld und der elterliche Vorentwurf stimmt mit ihren eigenen Lebenszielen überein. Zum Problem werden diese Erwartungen jedoch, wenn sie den Kindern wesensfremd sind und sie überfordern.

 

Du sollst es mal besser haben!

„Im Alter von nur zwanzig Jahren bereits selbständige Unternehmerin zu sein und aufwendige Projekte zu verwirklichen, sieht auf den ersten Blick wie eine Erfolgsgeschichte aus“, berichtet Mag. Sophie Heidler, leitende Psychologin im AMEOS Privatklinikum Bad Aussee, über Frau P., eine ihrer Patientinnen. „Beim genauen Hinsehen erkennt man aber die fatale Auswirkung internalisierter Glaubenssätze, die zum Teil von den Eltern übernommen wurden, zum Teil von der eigenen kindlichen Biografie herrühren – in diesem Fall Leistungs- und Erfolgsdruck aufgrund jahrelanger finanzieller Not. Jeder Mensch trägt den Drang in sich, seine Eltern zufrieden zu stellen. Dieses Gefühl ist ebenso natürlich wie der Wunsch der Eltern, dass ihre Kinder ‘es einst besser haben‘. Dementsprechend geht die Erziehung (un)bewusst in diese Richtung: Fleiß und Leistung werden dann als besonders bedeutend erlebt, die daraus resultierende Überforderung ist klar. Bei Frau P. zeigte sich diese in einer bipolaren Störung, zwischen manischen Phasen („ich kann alles schaffen“) und tagelangem Rückzug mit Suizidgedanken. Die inneren Rollen, ‚was wollen andere und was will ich selbst‘, gerieten immer wieder in Konflikt.“

 

Der geerbte Weg

Noch schwieriger wird die Situation, wenn nicht nur elterliche Wünsche nach Erfolg der Kinder – sei es schulisch, beruflich, sportlich oder finanziell – deren Lebensweg beeinflussen, sondern problematische Muster im Gesamtsystem „Familie“ dominieren. „Diese können toxische Beziehungen, Gewalt, Suchtverhalten, pathologische Leistungsorientierung, grenzenlose Hilfsbereitschaft und viele andere Faktoren bzw. Eigenschaften sein, die Bandbreite von potentiell prägenden Lebens-Leitmotiven ist enorm“, schildert Sophie Heidler. „Manchmal wirken im Hintergrund weitaus tiefer liegende, schwierig zu fassende Gründe für den eingeschlagenen Lebensweg. Kinder können „das Päckchen“ ihrer Eltern, ja sogar früherer Generationen, weitertragen, deren ungelöste Lebensthemen, Ängste, emotionale Aufgaben oder Traumata übernehmen.“

 

Die eigene Identität finden

Ob unausgesprochen oder druckvoll kommuniziert – elterliche Botschaften werden von den Kindern oft derart tief verinnerlicht, dass diese gar nicht merken, auf der falschen Fährte zu sein und an ihrem eigenen Leben vorbei zu leben. Doch wie kann man sich von diesen hemmenden Erwartungen befreien? „Dazu dienen die Pubertät, die natürliche Abgrenzung von den Eltern und die Rebellion“, betont die Psychologin Sophie Heidler. „Danach normalisiert sich wieder alles und man findet seinen Weg. Wir erleben jedoch oft Patienten und Patientinnen, die gar keine Pubertät leben konnten oder durften, somit fehlt dieser wertvolle und notwendige Teil in ihrem Leben. Mit Hilfe von Therapie, z. B. im Psychodrama, kann man ebenfalls die Identitätsfindung beeinflussen und sich die Glaubenssätze der Eltern bewusst machen. Manche dienen uns im Leben, manche belasten uns aber. Diesen Unterscheid zu realisieren, ist oft ein jahrelanger Prozess. Frau P. stellte sich dieser Herausforderung. Obwohl sie ihre Eltern stets idealisierte, ging es in der Therapie endlich um Abnabelung und Loslösung von der Geschichte ihrer Mutter. Wir arbeiteten viel an ‚Mittelwegen‘ zwischen den Extremen mit dem Bestreben, ohne Groll auf die Eltern eigene Ansprüche, Träume und Ziele zu definieren.“