Corona trifft auch den Rücken: Einer neuen Umfrage des Forschungsinstituts Forsa zufolge klagen mehr als ein Drittel aller im Homeoffice Tätigen über Verspannungen sowie Rücken- und Kopfschmerzen wegen eines schlecht ausgestatteten Arbeitsplatzes. Neurochirurg Dr. med. Abdurrahman Er kann den Negativ-Trend bestätigen: „Wir registrieren deutlich mehr Patienten mit Nacken- und Schulterbeschwerden sowie Schmerzen an der Lendenwirbelsäule.“

Dr. Er betreibt im AMEOS Poliklinikum Am Bürgerpark Bremerhaven eine Praxis für Neurochirurgie und leitet die Klinik für Wirbelsäulenchirurgie im AMEOS Klinikum Seepark Geestland. Im Interview mit der Nordsee-Zeitung schildert er das Problem aus seiner Sicht: „Im Homeoffice sind viele Menschen nicht so rückengerecht eingerichtet, wie es sein sollte. Oft fehlen ein höhenverstellbarer Tisch oder ein ergonomischer Schreibtischstuhl. Viel erreichen könnte man schon, wenn man zumindest den Monitor höher stellen würde, sodass die Oberkante auf einer Höhe mit den Augen liegt. Das führt dann automatisch zu weniger Nackenverspannungen.“

Corona-Pandemie verstärkt Rückenleiden

„In der Corona-Pandemie fehlen die Möglichkeiten, um Sport zu treiben und sich fit zu halten. Fitnessstudios sind geschlossen, viele Menschen haben Angst vor dem Besuch beim Physiotherapeuten, weil sie befürchten, sich mit dem Coronavirus zu infizieren“, sagt Dr. Er. Sich mit Rücken-und Sportübungen zu Hause oder im Park in Form zu bringen ist zwar möglich, aber: „Dafür fehlt häufig einfach die Selbstdisziplin“, weiß der Mediziner. „Die Menschen sind durch Corona ohnehin schon frustriert. Wer vorher nicht trainiert hat, eigeninitiativ Sport zu machen, dem fällt das in der Krise doppelt so schwer.“

Rücken-Patienten, die vor Corona schon gesundheitliche Probleme hatten, klagten nun verstärkt über Beschwerden. Das sind nicht wenige: Jeder Dritte habe irgendein Rückenleiden. Bei einem Bandscheibenvorfall beispielsweise sei die Operation allerdings das letzte Mittel der Wahl. „Der Großteil der Patienten wird bei einem Bandscheibenvorfall oder einer Verengung der Wirbelsäule nicht operiert“, sagt er. Diverse Bandscheibenvorfälle lassen sich konservativ, also nicht-operativ behandeln. Dabei werden Medikamente zur Schmerzlinderung sowie Physiotherapie eingesetzt.

Oft spielt bei Rückenbeschwerden die Psyche eine große Rolle. „Chronische Schmerzen können dazu führen, dass jemand depressiv wird“, sagt der Chefarzt. Es könne aber auch umgekehrt vorkommen, dass Rückenschmerzen Ausdruck einer psychischen Krise seien. Eine umfangreiche Schmerztherapie unter Beteiligung von Psycho- und Ergotherapeuten könne in solchen Fällen helfen. Weil viele Menschen aufgrund der Corona-Pandemie einsam seien, seien öfter Depressionen zu beobachten und damit einhergehend mehr Beschwerden an der Wirbelsäule.

Übungen in den Alltag einbauen

Da aktuell mehr Menschen im Homeoffice arbeiten, kommen auch mehr Patienten mit Nacken- und Schulterschmerzen zu Physiotherapeut Daniel Van Gielle Ruppe. Der 60-Jährige ist Teamleiter der Physiotherapie am AMEOS Klinikum Seepark Geestland. „Manche spüren auch Missempfinden in den Händen, weil sie im Homeoffice in ganz ungünstigen Haltungen arbeiten, zum Beispiel mit kleinem Tablet am Küchentisch oder auf der Bettkante“, sagt Van Gielle Ruppe. Die Halsmuskeln würden durch eine ungesunde Sitzhaltung überdehnt, es komme zu Verspannungen. Der Physiotherapeut hat immer mehr jüngere Patienten. „Nacken- und Schulterschmerzen kommen ja nicht nur durchs Homeoffice, sondern auch durch das geänderte Freizeitverhalten vieler Jugendlicher“, sagt Van Gielle Ruppe. „Anstatt eine Fahrradtour zu machen, sitzen sie vor dem Rechner und streamen Filme.“

Um Verspannungen und Schmerzen vorzubeugen oder diese loszuwerden, sei es am besten, Rücken- und Entspannungsübungen in den Alltag einzubauen. „Wer spürt, dass er verspannt ist, sollte direkt aufstehen und etwas tun, bevor es richtig schlimm wird“, so der Physiotherapeut. Das könne zum Beispiel eine Dehnungsübung an der Wand sein. Immer mal wieder zwischendurch etwas zu machen, sei viel besser, als abends im Anschluss an den Bürotag noch 20 Minuten für Übungen aufzuwenden. „Oft macht man es dann eh nicht mehr, und manchmal ist es dann auch schon zu spät, weil sich die Verspannung verfestigt hat“, sagt Van Gielle Ruppe.

Rückenübungen, die auch leicht im Homeoffice oder Büro durchführbar sind

  1. Mit beiden Armen auf einem Stuhl oder Tisch abstützen, Körper- und Bauchspannung halten, jetzt in der Diagonalen Liegestütze machen, dabei aufpassen, dass der Stuhl stabil steht.
  2. Alternativ leicht schräg zur Wand stellen, mit beiden Armen an einer Wand abstützen, dann Arme beugen und strecken, auf Bauchspannung achten.
  3. Sich aufrecht auf einen Stuhl setzen, die Arme vor dem Körper verschränken. Dann den Oberkörper abwechselnd nach rechts und links drehen. Darauf achten, dass das Becken stabil in der Mitte bleibt, die Schultern nach unten ziehen.