„Apotheker können mehr als Kisten packen!“
Doppelinterview zum Tag der Apotheke am 7. Juni
Die Klinika AMEOS Ost verfügen über zwei hauseigene Apotheken: eine am AMEOS Klinikum Halberstadt und eine am AMEOS Klinikum Bernburg. Welche Vorteile eine Apotheke vor Ort hat, wie Hürden in der Beschaffung knapper Arzneimittel überwunden werden und was eine Bank mit der Therapie von Krebserkrankungen zu tun hat, erzählen Dr. Ullrich Frauer und Dr. Tobias Brandt im Interview.
Dr. Ullrich Frauer leitet seit 1992 die Apotheke am AMEOS Klinikum Halberstadt und ist verantwortlich für ein Team von sechs Mitarbeitenden, die die Arzneimittelversorgung stationärer Patientinnen und Patienten im eigenen Haus, aber auch im AMEOS Klinikum Haldensleben (Psychiatrie und Somatik) und anderer Kliniken sicherstellen. Zum Versorgungsumfang zählen Arzneimittel, Infusions- und Spüllösungen sowie Lösungen zur parenteralen und enteralen Ernährung oder Trinknahrung sowie Blutzuckerteststreifen und weitere Materialien, die für Laboruntersuchungen auf den Stationen benötigt werden.
Dr. Tobias Brandt ist seit knapp 17 Jahren Leiter der Apotheke am AMEOS Klinikum Bernburg. Er kam nach seiner Promotion nach Bernburg und hat seit seinem Beginn die Entwicklung des Teams und des Hauses mitgestaltet. In den vergangenen Jahren hat sich das dortige Team auf zwölf Mitarbeitende verdoppelt und die Anzahl der zu versorgenden „Betten“ verfünffacht. Neben dem eigenen Haus versorgt die Apotheke in Bernburg Einrichtungen im Salzlandkreis, auch die AMEOS Klinika Aschersleben-Staßfurt und Schönebeck sowie Kliniken in Calbe und Barby.
Was ist das Besondere an einer hauseigenen Apotheke?
Dr. Frauer: Die Arzneimittelversorgung und -beschaffung gehört zu den Kernprozessen, die ein Haus zu organisieren hat. Es ist natürlich ein großer Vorteil, wenn eine Abteilung vor Ort dafür verantwortlich ist. Unser Ziel ist dabei immer, die Patientinnen und Patienten zeitnah, mit hoher Qualität und möglichst ökonomisch zu versorgen.
Dr. Brandt: Der größte Vorteil ist, einen Apotheker/ eine Apothekerin vor Ort zu haben. In den vergangenen 15 Jahren hat sich herumgesprochen, dass Apotheker mehr können als Kisten packen und somit sind wir auch Bestandteil der therapeutischen Teams, wenn es um die Medikation geht; wir versuchen die Sammeltherapiesicherheit* zu erhöhen und Medikationsfehler zu minimieren und Ärzte sowie Pflege zu unterstützen.
Was sind die größten Herausforderungen für Apotheken?
Dr. Frauer: Die Beschaffung der benötigten Arzneimittel, denn diese ist zurzeit ausgesprochen schwierig. Wir arbeiten mit einer Einkaufsgemeinschaft zusammen, in der eine große Zahl von Krankenhäusern kooperiert. Das hat den großen Vorteil, dass wir die Rahmenverträge mit den Herstellern nutzen können. Über Verbindlichkeitsmodelle versuchen wir bei besonders wichtigen Arzneimitteln die Versorgung zu sichern. Wenn uns das nicht gelingt, suchen wir nach alternativen Lieferanten, um unsere Patientinnen und Patienten entsprechend zu versorgen.
Dr. Brandt: Gerade weiß man nicht, was am nächsten Tag fehlt. Wir sind damit beschäftigt Alternativen in der Beschaffung von Medikamenten zu finden. Das nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Deshalb kümmert sich momentan eine Kollegin im Team um genau diese Fragen: Welche Arzneimittel sind gerade knapp? Gibt es alternative Lieferanten? Welche Möglichkeiten haben wir noch, um einem Mangel entgegenzuwirken?
Welche Arzneimittel sind knapp?
Dr. Frauer: Die Lage ist insbesondere bei den antibiotischen Kindersäften angespannt. Deshalb ist es in diesem Bereich möglich Importe aus dem Ausland zu nutzen – das wurde über das Bundesministerium für Gesundheit und die entsprechenden Landesbehörden ermöglicht. Allerdings löst das nicht das ganze Problem, denn die Länder die exportieren könnten, haben teilweise Exportsperren verhängt, um die eigene Bevölkerung vorrangig zu beliefern. Auch Fiebersäfte für Kinder und Medikamente gegen Erkältungskrankheiten, wie zum Beispiel abschwellende Nasentropfen, sind betroffen. Es geht tatsächlich kreuz und quer durch das gesamte Sortiment. Was sich gebessert hat, vor allem im Zuge der Corona-Pandemie, sind Arzneimittel, die sich in den Bereichen Intensivmedizin, Anästhesie und Beatmung bewegen.
Dr. Brandt: Es sind „Allerweltsdinge“ wie antibiotische Säfte für Kinder, aber auch Medikamente, die im Fall eines Schlaganfalls auf der Stroke Unit benötigt werden. Hier muss die Verteilung gut gesteuert werden, damit es für alle reicht.
Wie schaffen Sie es diese Hürden zu überwinden?
Dr. Frauer: Zuerst versuchen wir alternative Lieferanten zu finden oder andere Stärken mit gleichem Wirkstoff zu beschaffen, sodass wir beispielsweise eine Tablette mit zehn Milligramm Wirkstoff durch zwei Tabletten mit fünf Milligramm ersetzen können. Wenn ein Wirkstoff überhaupt nicht zur Verfügung steht, besprechen wir mit den Ärztinnen und Ärzten der betroffenen Abteilung, ob andere Wirkstoffe und Darreichungsformen eingesetzt werden können, um die Versorgung sicherzustellen. Wir versuchen auch durch Eigenherstellung fehlende Arzneimittel zu ersetzen, wenn wir die Wirkstoffe besorgen und die Arzneiformen, wie Lösungen und Salben, mit unseren Mitteln herstellen können.
Was ist aus Ihrer Sicht nötig, um die Schwierigkeiten bei der Medikamentenbeschaffung aufzulösen?
Dr. Frauer: Das Ganze kann man nur mittel- bis langfristig lösen, indem man das, was im Zuge der Corona-Pandemie angeregt worden ist, umsetzt. Nämlich ausreichend Kapazitäten in der pharmazeutischen Industrie zu schaffen – in der EU und ganz speziell in Deutschland. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die die betreffenden Unternehmen motiviert, hier zu investieren.
Dr. Brandt: Das ist ein wahnsinnig komplexes Thema, aber eine vermehrte Herstellung in Europa wäre eine gute Lösung des Problems. Allerdings sind die Prozesse der Herstellung und des Verkaufs komplex und seit Jahren etabliert, sodass eine Veränderung oder Anpassung dieser schwierig ist.
Eine Besonderheit: In-House-Herstellung von Krebsmedikamenten
Beide Apotheken sind in der Lage Arzneimittel zur Therapie von Krebserkrankungen patientenbezogen herzustellen. Die Herstellung der Zytostatika erfolgt an Sicherheitswerkbänken in Reinräumen, um die Sterilität der Arzneimittel zu garantieren. Dabei sind immer zwei Mitarbeitende beteiligt, um ein Vieraugenprinzip zu gewährleisten. Die Herstellungsbedingungen werden ständig kontrolliert und überwacht. Der Schutz der Herstellenden sowie die Produktsicherheit stehen im Fokus des Prozesses.
*Die korrekte Anwendung und Dosierung eines Medikaments am richtigen Patienten, zur richtigen Zeit.
Das Interview führte Nancy Thiede, Kommunikation & Kooperation AMEOS Ost