Das Ohr zählt zu einem der wichtigsten menschlichen Sinnesorgane. Seine Hauptaufgabe ist es Geräusche, Stimmen und Laute wahrzunehmen und sie durch Nervensignale an das Gehirn weiterzugeben. Ein intaktes Gehör und gutes Hören ist für die gesamte Entwicklung von Geburt an von großer Bedeutung. Wird eine angeborene Schwerhörigkeit zum Beispiel nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, kann sich das Hörvermögen nicht weiter ausbilden. Vor allem die Sprachentwicklung hängt maßgeblich davon ab, wie gut ein Kind hört.
Kleine Kinder, die hochgradig schwerhörig sind oder Menschen, die durch einen Unfall, eine Infektion oder einen Hörsturz ertauben, können mit einem Cochlea Implantat (CI) ihre Hörfähigkeit wiedererlangen oder erstmalig in ihrem Leben hören – so wie Anna Rokocha.
Im zweiten Lebensmonat von Anna fiel der Familie Rokocha auf, dass ihre kleine Tochter keine Reaktion auf Geräusche oder die Stimmen der Eltern zeigt. Nach einem Hörscreening war klar, das Mädchen ist taub.
Nachdem die junge Familie aus der Ukraine Nahe Odessa vor dem Krieg fliehen musste, ermöglichte ihr eine Hilfsorganisation den Kontakt zum HNO-Team des AMEOS Klinikums Halberstadt herzustellen. Die CI-Operation für Anna war eigentlich in der Ukraine für April 2022 geplant. Dank einiger HNO-Mitarbeitenden, die fließend russisch sprechen, war die Sprache keine Hürde.
"Die Cochlea Implantat Operation von Anna ist sehr gut verlaufen. Innerhalb einer Stunde konnte das Implantat zunächst rechts eingesetzt werden, da Anna links noch Hörreaktionen zeigt", beschreibt Dr. med. Jörg Langer, Chefarzt der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde. "Ich bin sehr zufrieden mit dem Verlauf der OP. Wenige Stunden nach der Operation ist das kleine Mädchen sehr aufmerksam, aufgeweckt und lacht viel."
"Das Einsetzen des Implantats kann mit einer Operation in einer Erbse verglichen werden. Das Operationsfeld ist nur wenige Millimeter groß, so dass die Operation unter einem Mikroskop stattfindet", erklärt Dr. Langer. In diesem Jahr wurden mehr als 35 CI-Operationen durchgeführt und mit Annas OP konnten vier Kindern unter drei Jahren geholfen werden. "Das ist viel" ergänzt der Chefarzt, „kommt doch nur ein Kind auf 2.000 Neugeborene mit einer hochgradigen Hörstörung“.
Die ersten drei Lebensjahre sind für die Entwicklung der Sprach-, Sprech- und Kommunikationsfertigkeiten besonders wichtig. Anna erhielt ihre Operation vor Vollendung des ersten Lebensjahrs, mit 11 Monaten.
Ende August erfolgt im Cochlear Implant Rehabilitationszentrum (CIR) in Halberstadt die Anpassung an die individuellen Hörbedürfnisse. Die Operation ist die Grundlage. Jetzt folgt die Nachsorge mit intensiven Hör- und Sprachtherapien und regelmäßigen Untersuchungen. Die Rehabilitation ist wichtiger und unverzichtbarer Teil der CI-Versorgung und ist im Reha-Zentrum in Halberstadt geplant. Die Beratung und Betreuung erfolgt durch das medizinische Personal des Halberstädter Klinikums. Gern nimmt die Mutter die eineinhalb stündige Autofahrt nach Halberstadt auf sich. "Ich bin über glücklich, dass die OP sehr gut verlaufen ist. Ich hoffe sehr, dass durch die frühzeitige Versorgung eine möglichst altersgerechte Sprachentwicklung für Anna möglich wird." Nun beginnt für Anna die spannende Phase des neuen Hörens.
Die Familie hat drei Töchter. Die mittlere Tochter Wiktoria wurde mit 3 ½ Jahren mit Cochlea Implantaten in der Ukraine versorgt. Sie fing erst mit fünf Jahren an zu sprechen und hat immer noch sprachliche Probleme. Auch für Anna‘s Schwester wurde durch das HNO-Team ein Kontroll-Termin im CIR vereinbart.