Am Samstag, dem 02.12.2017 fand von 10.00 Uhr bis 14.00 Uhr das 10. Bremer Symposium für Klinische Psychologie und Psychiatrie statt, veranstaltet wie jedes Jahr von der Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie und dem AMEOS Klinikum Dr. Heines Bremen. Diesjährige Überschrift:
Erwartungseffekte in Psychotherapie und Psychopharmakotherapie
Versammelt waren an diesem kalten Dezembermorgen mehr als 50 psychologische und ärztliche Kolleginnen und Kollegen.
Nach der Begrüßung und Einstimmung durch die Veranstalter zog Professor Dr. Gerd Glaeske sämtliche Register seiner jahrzehntelangen, kritischen Medikamentenversorgungsforschung. Er wies insbesondere auf den grundlegenden Unterschied zwischen Wirksamkeit und Nutzen von pharmakologischen Interventionen im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen hin. Dabei betonte er die Gefahr der Übermedikalisierung insbesondere alter Menschen, aber auch bei Kindern. Er machte darauf aufmerksam, dass es ein gesellschaftliches Problem ist, wie sehr Menschen, die ärztliche Hilfe aufsuchen, auch bei psychischen Problemen, selbst die Erwartung haben, Medikamente verschrieben zu bekommen und dass außerdem die Verschreibenden die Erwartung an sich und ihre Patientinnen und Patienten haben, dass sich durch die Verschreibungen die Krankheiten bessern lassen.
Dies lässt sich allerdings statistisch bei der massenhaften Verordnung von Antidepressiva und der gestiegenen Verordnung von sogenannten atypischen Neuroleptika nicht nachweisen. Im Zusammenhang mit der weit verbreiteten Polypharmazie insbesondere bei Psychopharmakotherapie wies er neben dem Anspruch der Versicherten auf Zugang zu Leistungen darauf hin, dass es auch sinnvoll sein könne, Versicherte vor übermäßigen Leistungen zu schützen. Eine leitlinienorientierte Medikation könne zur Gefahr der Betroffenen bei der Vielzahl von Diagnosen, gerade bei älteren Menschen, werden. Er zitierte den berühmten italienischen Reform-psychiater Franco Basaglia, der einst sagte, dass Psychopharmaka richtig eingesetzt ein Mittel der Befreiung seien, während sie falsch eingesetzt zur Unterdrückung der Betroffenen führen.
Es folgte Herr Dr. Marcel Wilhelm von der Universität Marburg, der über seine Forschungsergebnisse zur Placeboforschung referierte. Er zeigte auf, dass die Placebowirkung nicht als einheitliches in sich homogenes Phänomen aufgefasst werden kann, sondern dass es sich um komplexe Effekte handelt. Neben dem natürlichen Verlauf der Erkrankung und einer Regression zur Mitte spielt Habituation eine Rolle.
Bei der Response auf die Vergabe einer Medikation oder Scheinmedikation im engeren Sinne unterteilte er noch in Erwartung, assoziatives Lernen und Arzt-Patienten-Kommunikation. Er zeigte die Bedeutung von aktiven Placebos in neueren Studien auf, so dass die Betroffenen nicht schon anhand des Ausbleibens von Nebenwirkungen in Doppelblindstudien rückschließen können, kein Verum zu erhalten. Bemerkenswert auch, dass durch die neuere Forschung klar ist, dass sich Placebo- und Verumeffekt nicht addieren, sondern miteinander interagieren, sehr stark abhängig von dem kommunikativen Kontext und dass positive und dysfunktionale Erwartungen das Ergebnis von Interventionen sehr stark mitbestimmen. Dies kann nach neuen Erkenntnissen in der somatischen wie in der psychosomatischen und psychiatrischen Medizin gezielt genutzt werden, indem realistische und zugleich hoffnungsvolle Erwartungen konkret thematisiert werden. Er konnte zeigen, dass der Verlauf nach Bypass-Operationen vermittels solcher Strategien deutlich besser ist als ohne.
Nach einer leckeren Gemüsesuppe in der Pause setzten wir am frühen Nachmittag unsere Diskussion fort und wurden durch Frau Professor Dr. Yvonne Nestoriuc von der Universität Hamburg aufgeklärt über Nocebo und aktuelle Forschung zu eben jenen negativen Erwartungen, die im Zusammenhang mit medizinischen und psychotherapeutischen Interventionen den weiteren Verlauf ungünstig beeinflussen können. Sie konnte zeigen, dass durch ein gezieltes Thematisieren des Noceboeffektes in der Aufklärung unerwünschte Begleiterscheinungen von nachgewiesen wirksamen Therapiestrategien reduziert werden können. Dies spielt sowohl in der somatischen Medizin als auch für Vorgänge in der Psychiatrie, beispielsweise beim An-, aber auch beim Absetzen von Psychopharmaka eine wichtige Rolle und sollte weiter erforscht werden.
Wir planen in dieser Frage zukünftige wissenschaftliche Kooperationen. Nach regen Diskussionen wandten sich dann die interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer unseres Symposiums ihren Weihnachtseinkäufen zu in Erwartung auf eine schöne Advents- und Weihnachtszeit.
Prof. Dr. Uwe Gonther
Ärztlicher Direktor am AMEOS Klinikum Dr. Heines Bremen