Wieder ein normales Leben führen – das ist oft der größte Wunsch, wenn man nach der Diagnose Krebs alle Behandlungen überstanden hat. Eine medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation (MBOR) unterstützt die Betroffenen bei der Rückkehr in die Berufstätigkeit. Diplompsychologin Angelika von Aufseß beschreibt, wie das spezielle Training funktioniert.
Wer nach der Diagnose Krebs und der belastenden Folgebehandlung die Reha antritt, hat oft nur den einen Wunsch: Kraft tanken für die Rückkehr in die Normalität. Endlich wieder teilhaben am Leben. Mitmachen, dabei sein, das alte Leben wieder aufnehmen. Für berufstätige Rehabilitanden heißt das auch: Rückkehr an den Arbeitsplatz und fit werden für die Anforderungen des beruflichen Alltags. Wie kann die Rehabilitation dabei helfen?
Tanja Kleiber, 48, (Name geändert) hat vor elf Monaten die Diagnose Brustkrebs erhalten. Von heute auf morgen war alles anders. Ihre volle – oft mehr als volle – Stelle als Intensivschwester im Krankenhaus musste sie zurücklassen, den überlasteten Kollegen auch noch ihre eigenen Dienste aufbürden. Seit der Diagnose bestand ihr Leben aus einem Tumult an Gefühlen, aus aufreibenden Wartezeiten, aus Behandlungsschritten, die ihren Optimismus auf eine harte Probe stellten. Hatte sie sich früher oft gewünscht, mehr Zeit für die Familie, für den Haushalt und für ihre Freunde zu haben, fiel ihr jetzt die Decke auf den Kopf. Sie bekam mit, dass auf ihrer Station die Hektik unerträglich war, hatte ein schlechtes Gewissen und konnte es doch nicht ändern. Zunehmend fühlt sie sich abgehängt und isoliert. „Bei den anderen geht das Leben weiter und ich hänge schlapp auf dem Sofa“, denkt sie, „wie soll das alles weitergehen?“
Man fühlt sich abgehängt und isoliert
Als sie endlich ihre Reha antritt, kann sie sich kaum vorstellen, jemals wieder so belastbar zu sein, dass sie ihre Schichten durchhalten und dem Anspruch, den sie an sich selbst immer stellte, gerecht werden kann. Körperlich geht es ihr zwar allmählich besser, aber sie ist schnell müde und erschöpft. Ihre Konzentration hat gelitten. Am meisten aber ihr Selbstvertrauen. Dabei würde sie so gerne wieder dazugehören!
Nach den ersten Tagen wundert sich Frau Kleiber: Sie hatte gedacht, sie würde auf Kur gehen. Sich erholen, Wellness, Massage, Ausflüge machen, vielleicht ein wenig Fitness und ein paar Arztgespräche. Und nach dem ersten Schock wird ihr klar, dass die Reha sie ganz schön fordern wird. Morgens schon zum Frühsport, Anwendungen über den ganzen Tag verteilt, ein Takt, den sie seit elf Monaten nicht mehr kannte.
Aber schon in der zweiten Woche dämmert ihr: Die Rückkehr in den Beruf ist kein Mount Everest mehr, sondern eine anspruchsvolle, aber machbare Bergtour auf einen Zweitausender. Sie begreift, dass die Tour gut vorbereitet werden und in Etappen verlaufen muss. Sie braucht erfahrene Begleitung. Zum ersten Mal seit der Diagnose wächst in ihr das verloren geglaubte Zutrauen zu sich selbst.
Das Zutrauen in die eigene Kraft kommt zurück
In den unterschiedlichen Abteilungen wird Tanja Kleiber unterschiedlich auf die Rückkehr vorbereitet. Das spezielle Reha-Programm heißt MBOR: medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation und wurde bisher z.B. schon bei orthopädischen Erkrankungen erfolgreich eingesetzt.
In der Sozialberatung werden nun die einzelnen Schritte der beruflichen Wiedereingliederung skizziert. Im Vortrag und im Einzeltermin erfährt sie alles über arbeitsrechtliche Maßnahmen. Es geht um die Möglichkeiten von stufenweiser Wiedereingliederung, die Verpflichtung des Arbeitgebers zu beruflichem Eingliederungsmanagement, um ein Abwägen von Lebensqualität, sozialer Sicherung, Notwendigkeiten von Veränderungen am Arbeitsplatz, Teilhabeleistungen, Wünsche von Familie und Freunden und viele weitere Aspekte. All das wird durchdacht und diskutiert: Es werden Handlungsoptionen durchgespielt – Plan A entworfen, aber auch Plan B + C – maßgeschneidert auf die Situation der Krankenschwester.
Die Physiotherapeuten besprechen mit ihr den auf ihre Schwachstellen zugeschnittenen Trainingsplan. Sie lernt Übungen, die sie auch nach der Reha machen kann. Überglücklich ist sie, als sie die Fortschritte bemerkt, den Zuwachs an Kraft. Sorgenvoll dagegen begibt sie sich ins Hirnleistungstraining. Sie ist überzeugt, dass ihr „Chemo-Brain“ nicht viel hermacht. Welche Erleichterung! Nur kleine Einschränkungen im Kurzzeitgedächtnis. „Das wird sich immer mehr normalisieren“, beruhigt sie die Ergotherapeutin.
Das Leben nach der Reha: Wie ein Neustart
Tja, und dann das Thema Stress! Während des Vortrags über Stress und Stressbewältigung fühlt sie sich ertappt: Perfektionismus, Ungeduld, Kontrollzwang und dabei keine Pausen, kein Ausgleich. Kein Wunder, dass sie auch vor der Erkrankung den Stress im Beruf kaum mehr bewältigen konnte.
Im Seminar „Fit im Beruf“ lernt sie noch mehr über ihre persönlichen Stressverstärker. Sie füllt einen Fragebogen zu ihren arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmustern aus (AVEM) und ist erschüttert: Ihr Verhalten entspricht dem Risikomuster A. A wie Anstrengung. Sich über die Maßen anstrengen und sich immer weniger distanzieren können von den Arbeitsthemen. Sie mit nach Hause nehmen und zunehmend resignieren. In der Gruppe werden erste Strategien der Stressbewältigung besprochen.
Auch im Einzelgespräch mit der Psychologin geht es um konkrete Schritte der Veränderung. Es geht um Grenzen setzen, für Ausgleich sorgen, sich für die eigene Gesundheit Zeit nehmen, sich um Entlastung und Unterstützung kümmern. Und den Mund aufmachen! Nicht mehr schweigend dienen. „Damit schaffst du keinen Zweitausender!“, das hat sie verstanden.
Bereits von der Klinik aus meldet sie sich in einem Fitness-Studio an. Mit ihrer Kollegin verabredet sie sich beim Italiener. Der Fensterputzer ist ebenfalls bestellt. Und die Urlaubsreise mit ihrem Lebenspartner ist gebucht. Es gibt viel zu tun, um besser für sich zu sorgen. An die Arbeit!
Mehr Informationen über die onkologische Reha im AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg oder telefonisch 04541 13 38 00.